Straßenverkehr, Rücksicht(slosigkeit), Indien

Heute hab ich in einer deutschen Tageszeitung einen Artikel über die gefühlte Zunahme von Rücksichtslosigkeit im deutschen Straßenverkehr gelesen, und woher das wohl kommt. Link gibts leider nicht, eine Hamburger Zeitung, den Artikel über Blende gelesen.

Als Rennradfahrer hatten wir diese Diskussion in letzter Zeit häufig, und dass in unserer Gegend der gefühlte Stresspegel ziemlich hoch ist, darüber sind wir uns ziemlich einig. Weshalb ich in der Zwischenzeit fast nur noch auf „geteerten Feldwegen“ und wirklich kleinen Nebenstraßen unterwegs bin, wo es deutlich entspannter zu geht. (Auch dort kommen Begegnungen der dritten Art ab und zu vor).

Was hat das nun mit Indien zu tun? Bin geschäftlich eine Woche hier. Nein, fahre weder Auto, noch Fahrrad, nur im „Taxi“ bzw. organisiertem Transport unterwegs. Ein wenig zu Fuß unterwegs gewesen, aber zu ruhigen Zeiten am Sonntag. OK, ich war schon öfter mal in Indien, und in manch anderem „exotischen“ Land, sodass ich ein bisschen was gewöhnt bin. Der „chaotische Verkehr“ ist aber auf jeder unserer Fahrten ein unentwegtes Thema. Ich glaube die meisten von euch kennen das ein oder andere einschlägige YouTube Video etc. Ich denke das Vorurteil ist ziemlich klar: total chaotisch, ständiges Anhupen, Streß, Rücksichtslosigkeit, Vordrängeln…

Die Realität ist doch etwas anders. Sobald man sich das von innen ein wenig genauer anschaut. Chaos: ja. Vordrängeln: aber klar doch. Rücksichtslosigkeit: hmm, eher nicht. Anhupen: ja, aber.

Gedrängelt wird ohne Ende, klar. Ampeln: je nach aktueller Situation wird da tatsächlich gehalten, aber je nach Situation wird das auch mal nur als wohlgemeinter Ratschlag gesehen, den man auch ignorieren kann. Ein durchgezogener (doppelter) Mittel-Strich auf der Fahrbahn: ein grober Orientierungspunkt, den man wohlwollend in Betracht zieht. Wenns aber halt viel Verkehr gibt, macht man aus 2 Spuren auch mal 4, und dann bleibt in der Gegenrichtung von 2 Spuren halt nur eine. Effiziente Platzausnutzung, darüber regt sich niemand auf. Übrigens auch nicht die Verkehrspolizei. Und bei 4 markierten Spuren ist selbstverständlich Platz für 5 Spuren Autos, die auch problemlos um eine Kuh herum fahren die da irgendwo in der Mitte ist.

Hupen: sehr fein abgestimmt.

  • Kurz: „Nur zur Info, ich bin da links / rechts hinter dir… nur so“. „Du, ich quetsch mich da gerade links an dir vorbei, lass mich bitte“.
  • Mittel: „Heh, da ist doch noch Platz, warum überholst du da nicht“. „Komm, zier dich nicht so, da wär jetzt echt Platz gewesen, das war nicht nett“.
  • Lang: „Depp“

In der Praxis ist hupen fast immer kurz. Sprich: hupen gehört zur normalen Kommunikation. Fahren ist Intuition, und man kann die Augen nicht immer überhall haben, und Spiegel haben Limits, also muss man sich auch über die Ohren abstimmen. Wo ist das Problem? 🙂

Chaos: Na ja, schon ein wenig. Es ist hier in Bangalore einfach zu viel unterwegs, für die Kapazität der Straßen. Das ist bei uns nicht viel anders, prinzipiell, nur ists hier noch Faktor 2 bis 5 mehr. Ansonsten ist das hier auch nicht wirklich chaotischer. Nur mehr „Fahrzeuge“.

Und dann: Rücksichtslosigkeit: in Indien eher nicht!!! Da könnte sich so manche(r) Deutsche(r) eine dicke Scheibe abschneiden. Mein Eindruck ist, dass sich hier praktisch immer jeder bewußt ist, was um ihn rum passiert. Da wird niemandem böswillig der Weg abgeschnitten, nur „weil ich recht haben will“. Wenn das Tuk-Tuk halt nunmal links vorbei will und schon nebendran ist, läßt man den halt vorbei, der will auch leben. Wenn da einer rechts abbiegen will, und der quetscht sich rein… OK, irgendwann muss er halt rüber. Der wird NICHT angehupt! den läßt man dann halt mal durch.

Ich war jetzt nur 2 Mal zu Fuß unterwegs, einmal Sonntags und heute kurz, da war nicht mehr ganz so viel Verkehr. Aber die 4 spurige Hauptstraße zu überqueren, war nun wirklich kein Problem. Bin nicht angehupt worden und irgendwie hab ich mich total wohl gefühlt. Definitiv wohler als auf der B464 zwischen Kälberstelle und Schaichhof.

Einschränkend zu sagen: es geht hier um relativ langsamen (da dichten) Stadt-Verkehr. Der Verkehr auf „Landstraßen“ oder spät nachts in der Stadt, wenn wenig los ist… das ist heikel. Da wird „gerast“ und wenns wirklich schnell wird, dann wirds gefährlich.

Ich sag jetzt nix zur Unfallstatistik… die hab ich nicht im Detail recherchiert, aber ganz kurz gesagt, da steht Indien bei den Verkehrstoten im Vergleich zu Deutschland sehr schlecht da. Was seine Gründe hat, aber das ist ein anderes Thema.

Journalismus: Fakten, Interpretation, Meinung

Heute hab ich eine Artikel auf Telepolis gelesen, und danach einige der Leser-Kommentare im Forum: Alternativer wird’s nicht

Den Artikel selbst fand ich ziemlich gut, ein paar positive Kommentare zu Medien, die ich gar nicht ganz so positiv finde, und ein paar eher negative Kommentare zu Dingen, die ich eigentlich ganz positiv finde. Aber insgesamt ein gelungener Artikel, der zu einem guten Teil meine Meinung widerspiegelt.

Als ich dann einige Kommentare angeschaut habe, … ich weis nicht so recht, was ich sagen soll. Gefühlt 80% negativ. Was jetzt?

Worum gehts: Eine wichtige Aussage von Selma Mahlknecht ist, dass es komplett neutralen Journalismus nicht geben kann, da jeder Mensch eine Meinung hat, und letztlich beim Verfassen von Artikeln nicht komplett neutral sein kann. Weiterhin ist es so, dass es eine Schwemme an Informationen gibt, jeder behauptet „Fakten“ zu präsentieren, aber jeder „Fakt“ muss letztlich durchleuchtet werden, wer das Faktum präsentiert hat, wie es geschrieben ist, welche Belege es gibt, etc…. oder ob der „Fakt“ eine Meinung und Interpretation ist. Weiterhin schreibt sie, dass der Leser dies selbst auch tun muss, egal welches Medium er gerade liest.

Sie schreibt das ausführlicher, mit Beispielen, aber soweit meine Zusammenfassung in aller Kürze, und ich finde sie hat damit recht. Ich kenne keine Zeitung, kein Blog, kein „alternatives Medium“, egal ob Papier oder Internet, welches nicht mehr oder weniger klar eine Meinung im Hintergrund hat. Natürlich gibt es Medien, die sich sehr stark bemühen neutral zu bleiben, und welche die ziemlich unbekümmert ihre Meinung in jedem Artikel herausstellen, natürlich ohne das so zu nennen.

Der Haupt-Kritikpunkt in den Leser-Kommentaren: nein Selma hätte nicht recht, guter Journalismus muss neutral sein, darf nicht gewichten, darf nicht interpretieren, „meine Meinung bilde ich mir selbst“. Ach so. Seit wann sind wir Menschen neutral? Was unser Gehirn zu 100% seiner Zeit tut, ist filtern, sortieren, abwägen, wichtig/unwichtig, gut/schlecht, doof/intelligent, meine Meinung / nicht meine Meinung. Neutral bleiben ist mindestens extrem schwierig, ich würde sagen fast unmöglich.

Was dann in den Leser-Kommentaren so als „beispielhafte“ Medien aufgezählt wird, … da wird es dann aber wirklich fast schon lächerlich (Ja, OK, ein paar gute Beispiele sind auch dabei). Aber ich möchte mal ein Beispiel rauspicken: NachDenkSeiten. Ich schaue da ganz gerne vorbei (muss zugeben, zur Zeit selten, ich hab meinen „Medien-Konsum“ etwas zurückgefahren). Warum schaue ich da gerne vorbei: weil man da Artikel und „Hintergründe“ findet, die man im Mainstream nicht findet (das ist ja der Kern der NachDenkSeiten), und die man sonst mühsam zusammensuchen müsste. Das bedeutet aber nicht, dass ich diese Artikel alle gut finde, es bedeutet auch nicht, dass ich die Meinung immer teile.

Ja, die Meinung teile. NachDenkSeiten ist nämlich weit davon entfernt ein neutrales Medium zu sein. Da wird sogar gewaltig eine Meinungs-Strömung verbreitet. Wer es nicht kennt, schaut mal rein. Nachdem ich die NachDenkSeiten Monate in meinem Nachrichten Feed hatte, lese ich zunehmend weniger, denn: es ist mir zu einseitig!

Einige der Leserkommentatoren entlarven sich mit der Angabe ihrer „alternativen Medien“. Man könnte es so sehen: „wenn es meiner Meinung entspricht, ist es guter Journalismus, andernfalls schlechter“. Ne, so wird das nichts.

Es gibt leider viele schlechten Journalismus. Aber es gibt auch guten, den gibt es aber eher abseits des Mainstream. Es erfordert eine gewisse „Mühe“, und den Willen sich vielfältig zu informieren. Und das Bewusstsein darüber „was lese ich da gerade“ und wie ist das zu interpretieren. Ja, kurz: Medienkompetenz. Die wird aber nirgends gelehrt.